Die Bilder dieses Artikels sind Scans der Weihnachts-Broschüre einer bekannten Kaffeemarke, publiziert 1965. In diesem Jahr glaubte ich noch an den Weihnachtsmann.


Heiligabend. Hameln. Mitte der sechziger Jahre.

Die Tage und Nächte vor der Bescherung zerrten immer an meinen noch jungen Nerven und ich ging meinen Eltern gewiss auch oft auf dieselben. Aber am Nachmittag dieses Heiligen Abends wurde die Spannung unerträglich. Ich auch. Also stülpte man mir die tannennadelgrüne Pudelmütze über und beförderte mich an die frische Luft. Es lag Schnee, der aber nicht reichte, um meine brennende Neugierde abzukühlen. Ich erklomm das Küchenfenster von außen, um zu sehen, was im Haus vorging. Und drinnen – unglaublich – schraubte mein Onkel einen dieser als Kicker bezeichneten Tischfußballspiele zusammen. Nicht so groß wie die in einer Kneipe; im Verhältnis zum Original eher wie das Klavier vom Peanuts-Schröder zu einem echten Piano. Misstrauisch und unerkannt hüfte ich vom Fenstersims zurück in den Schnee und setzte mich an die alte Pumpe, die mitten auf dem Platz vor unserem Haus stand. Was hatte das alles zu bedeuten?

Aber als kurze Zeit später eine Glocke mich zurück ins Haus rief und ich ins Wohnzimmer durfte, erwartete mich ein toller Weihnachtsbaum mit vielen Geschenken. Ich vergaß für einen Moment das eben Erlebte. Mein Gesicht glühte vor Aufregung und ich wusste gar nicht, welches Geschenk ich als erstes auspacken sollte. Doch dann fiel mein Blick auf den Kicker. Ich war wie versteinert.

„Kuck mal, was dir der Weihnachtsmann gebracht hat“, meinte ich meinen Vater und meinen Onkel im Chor zu hören – beide absolute Fußballfans. „Von wegen Weihnachtsmann“, sagte ich, eigentlich nicht gerade berühmt für kindlichen Wortwitz und Schlagfertigkeit. Aber dass mein Onkel nicht der Weihnachtsmann sein konnte war klar, jedenfalls irgendwie. Und gewünscht hatte ich mir den Kicker auch nicht, also konnte der auch nicht vom Weihnachtsmann gebracht worden sein. Der brachte nämlich nichts, was man nicht gebrauchen konnte – außer manchmal Socken, Pudelmützen oder blöde Fausthandschuhe, die man am besten immer wieder gleich verlor.

Die Fakten waren unumstößlich. Es gab keinen Weihnachtsmann. Das war klar wie Kloßbrühe für meinen kindlichen Verstand, aber mein Herz war erschüttert. Und das war es eigentlich ein ganz klein wenig noch bis heute.

Darmstadt. Dezember 2018.
Heute leben wir in einer postfaktischen Zeit. Unumstößliche Fakten gibt es nicht mehr. Wissen wird als überbewertet betrachtet. Wahr ist nur, was ich will und nicht, was nachweislich ist. Andersdenkende kann ich getrost und mit hassverzerrter Fresse als Lügner bezeichnen und so die stichhaltigsten Argumente und präzisesten Messergebnisse für null und nichtig erklären. Und das nur, weil es mir in den Kram passt und nicht etwa, weil ich etwas weiß. Mir passt der Weihnachtsmann in den Kram. I believe in Father Christmas. Wieder. Und wer was anderes denkt – der ist ein gottverdammter Lügner.

Auf meinem Wunschzettel an den Weihnachtsmann steht, wie ich denn das nächste Jahr gerne so hätte. Und genau das wünsche ich euch auch. Und ihnen. Und ganz besonders dir.

Thomas (Hobein)


(Beim Schreiben natürlich gehört: „I believe in Father Christmas“ von Emerson, Lake and Palmer. Das ist eins der beliebtesten Weihnachtslieder des Pop-Zeitalters, war aber eigentlich eher als kritische Würdigung unserer Festtagsgewohnheiten gedacht. Aber das ist wahrscheinlich auch nur so eine Lüge, um uns das Fest zu verderben.)