von einem Stahlstich, seiner fotografischen Reproduktion und einer alten Sage

Unlängst fand ich in einem Buch aus dem Jahre 1855 die Sage von einem Bauern, der auf der Hamelner Weserbrücke zu Reichtum kam. Da fiel mir ein, dass ich während meiner Ausbildung einen Stahlstich reproduzieren musste, der eine ehemalige Version dieser Brücke zeigte. Als ich die Reproduktion in meinem Archiv fand, entdeckte ich, dass diese Grafik von einem Darmstädter in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angefertigt hatte. So – und jetzt kommst du.   

Während meiner Ausbildung zum Fotografen musste ich ein Berichtsheft führen und monatlich eine darin vorgegebene praktische fotografische Aufgabe lösen. Im vorliegenden Fall war die Reproduktion eines Stahlstiches ohne Halbtöne vorgesehen. Zuerst musste so ein Stich her. Der Meister empfahl mir den Besuch einer Kunsthandlung. 

Also betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Kunsthandlung und fragte nach Stichen. Was für einen, fragte mich der Händler. Wusste ich nicht. Keine Ahnung. Also zauberte der einen Stapel Drucke aus einem Planschrank und breitete die Auswahl vor mir aus. Ich entschied mich für ein heimatliches Motiv aus Hameln – für die Brücke eben. Obwohl mir keiner so richtig gefiel. Noch weniger gefiel mir der Preis, der mir einen nicht unbeträchtlichen Teil der einhundertachtzig Mark meiner monatlichen Ausbildungsvergütung abverlangte.  

Dafür war ich jetzt im Besitz eines Druckes aus der Werkstatt von Gustav Georg Lange, geboren am 6. Januar 1812 in Darmstadtund um 1870 dort gestorben. Dieser Kunst- und Buchhändler, Verleger, Drucker und Zeichner betrieb seit 1835 eröffnete eine wohl recht erfolgreiche Kupfer- und Stahldruckerei in der Rheinstraße 47. Spezialisiert war er auf topographische Publikationen, die er in relativ hohen Auflagen herstellte und vertrieb. 

Das Motiv des vorliegenden Druckes – ein Einzelblatt – war wohl auch Inhalt des 1858 bei Lange erschienenen Buches mit vollumfänglichem Titel: „Das Königreich Hannover und das Herzogthum Braunschweig dargestellt in malerischen Original-Ansichten ihrer interessantesten Gegenden, merkwürdigsten Städte, Badeorte, Kirchen, Burgen und sonstigen Baudenkmäler alter und neuer Zeit. Nach der Natur aufgenommen und in Stahl gestochen von verschiedenen Künstlern. Historisch und topographisch beschrieben von O. v. Heinemann“ 

Aber das weiß ich erst seit jetzt. Seit damals aber weiß ich, wie man in der Dunkelkammer einen Vergrößerer namens Durst Laborator 138s mir wenigen Handgriffen zu einer Reprokamera umwandelt und wie man mit orthochromatischem Lithfilm umgeht. Beides hilft mir in der Zeit der digitalen Fotografie natürlich nur begrenzt weiter und Spaß hatte ich auch nicht dabei. 

Das Titelbild ist ein Scan des Original-Negativs, das ich damals angefertigt habe.

Der Bauer aus Holtershausen auf der Hamelner Weserbücke

Brinckmann stand jetzt schon den zweiten Tag auf der Hamelner Weserbrücke und wartete auf … ja, auf was? Das wusste er selbst nicht so genau. Der Bauer aus Holtershausen, das ist nahe Einbeck, war den weiten nach Hameln gegangen, weil er in drei Nächten hintereinander geträumt hatte, dass er hier auf dieser Brücke reich werden würde. Und jetzt stand er erwartungsvoll am erträumten Ort.

Aber am Vortag war nicht passiert. Nicht das Geringste. Obwohl Brinckmann aufmerksam alles im Blick gehabt hatte. Schließlich wollte er einen Schatz mit nach Hause nehmen. Aber es war ja nichts passiert. Lediglich ein vornehm gekleideter Mann war wortlos war an ihm vorbeispaziert.

Jetzt stand er schon ein wenig ungeduldig auf der Brücke und fragte sich, wie lange er noch ausharren sollte. Auch seine Vorfreude auf einen großen Schatz wurde langsam kleiner als der Herr vom Vortage wieder über die Brücke kam. Als der den Bauern erblickte und wiedererkannte, fragte er Brinckmann, warum er hier schon den zweiten Tag so rumstände.

Der Bauer erzählte dem Mann wahrheitsgemäß von seinem Traum, woraufhin der ihn auslachte. Auf Träume sei nichts zu geben, belehrte er Brinckmann. Er selbst, fuhr er fort, hätte auch geträumt – von einigen hohlen Bäumen auf der Mönchebreite am Litberge und dass unter einem davon, unter einer Eiche, ein Schatz läge. Dann ließ er den Wartenden ohne ein weiteres Wort zurück, lachte noch einmal herablassend vor sich hin und setzte seinen Weg über die Brücke fort. Brinckmann blickte ihm mit großen Augen nach, sagte aber nichts. Dann machte sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf den Rückweg nach Holtershausen.  

Denn ihm gehörte das beschriebene Stück Land im Süden seines Heimatortes. Tatsächlich fand er unter der Eiche auch den Schatz und wurde, wie geträumt, reich. Zumindest für eine gewisse Zeit. Denn schon bald war alles verprasst und die Familie Brinckmann lebte erneut in dürftigen Verhältnissen – wohl noch bis heute.

Ob das Treffen der beiden Männer auf der abgebildeten Brücke stattfand oder auf einer der zahlreichen Brücken, die vorher und nachher an dieser Stelle die Weser überspannten – das bleibt ungeklärt.

Die Sage fand ich in drei verschiedenen Büchern aus verschiedenen Zeiten. Keine Version hat mich sprachlich so richtig überzeugt, also habe ich flugs meine eigene geschrieben.