oder unlängst an der Fleischtheke

Freitag. Gegen Mittag. Ich stehe in einem Darmstädter Supermarkt vor der Fleischtheke. Da stehe ich ungern, weil ich meinen Fleisch- und Wurstbedarf lieber in den Landmetzgereien im Odenwald und an der Bergstraße decke. Aber wegen zweihundertfünfzig Gramm Kalbsleber jetzt extra in den … geht doch nicht …

Also stehe ich jetzt vor dieser Fleischtheke. Hinter der Theke stehen zwei Frauen – eine bebrillt, die andere nicht – und ein Mann. Drei gegen einen, denke ich. Unfair. Die denken das auch und lassen mich deshalb einfach stehen.

Nicht, dass sie mich ignorieren, nein, alle drei nehmen Blickkontakt mit mir auf und verfahren dann aber relativ individuell, um bloß nicht mit mir ins Gespräch kommen zu müssen. Eine der Frauen dreht mir schnell den Rücken zu, bevor ich sie ansprechen kann. Die andere, die mit Brille, labert einfach weiter auf die mir jetzt abgewandte Kollegin ein. Der Typ grunzt was und verschwindet dann im Lager. Kein „Guten Tag“ oder „Moment, ich bin gleich bei Ihnen.“ Kein gar nix. Minutenlang.

Dann erbarmt sich die vermeintliche Fleischereifachverkäuferin mit Brille meiner und fragt mich gezwungener Maßen, was es denn sein darf. Ich denke Schrotflinte, sage aber Kalbsleber.

Genauer gesagt, sage ich: „Guten Tag. Haben sie Kalbsleber?“

„Kalbsleber?“ erwidert sie. Kurz denke ich, dass sie dieses Wort schon einmal gehört hat. Aber wie immer gibt es auch in diesem Fall Richtig und es gibt Falsch. Sie lässt also ihren augenscheinlich ungeschulten Blick über die Waren gleiten. Und während sie so sucht, liest sie ab, was auf den Schildern mit dem Substantiv Kalb beginnt. Kalbschnitzel, Kalbsrücken …

Nun, dass dort keine Leber zu finden ist, weiß ich ja längst, denn ich hatte schließlich genügend Zeit, die Auslage zu studieren. Aber ich gebe ihr etwas Zeit, zu zeigen, dass sie lesen kann und … vielleicht fermentiert ja noch etwas Leber im Kühlraum vor sich hin.

Die Leselust verlässt sie schnell, aber es beginnen auch nur wenige Produkte mit Kalb. Sie ruft zu ihrer Kollegin rüber: „Haben wir Kalbsleber?“ Und die echot zu dem Kollegen, der gerade aus dem Lager zurückkommt: „Haben wir Kalbsleber?“

Der weiß Bescheid, sieht mich gelangweilt an und bringt es plakativ auf den Punkt: „Nö.“

„Rinderleber?“ Ich bin ja schließlich nicht verwöhnt.

„Nö.“ Er ist jetzt schon ein wenig genervt, denn mit so viel Widerstand hat er nicht gerechnet.

„Nö?“ Denn kurz frage ich mich, ob er nicht richtig sprechen kann und „Nö“ etwas ganz anderes bedeutet als Nein. Vielleicht hat er ja wie wir alle etwas vom Neandertaler, nur eben etwas mehr. Aber er beendet mein Gedankengang durch ein weiteres, etwas entschiedeneres : „Nö.“

„Hmm“. Aber ich ergänze mein Brummen durch ein nettes: „Vielen Dank für Ihre Mühe.“ Dann drehe ich mich um und verlasse diesen Ort – ohne Leber, aber mit etwas galligem im Hals.

Und als ich gehe, spüre ich ihre Blicke im Genick und auch ihre Gedanken. „Kalbsleber? Glaubt diese Arschgeige eigentlich, dass hier wäre eine Metzgerei?“ Und ich denke zurück: „Nein. Das glaubt diese Arschgeige ganz sicher nicht.“

(Beim Ärgern gehört: „The Other End“ vom Rupert Hine Album „The Deep End“)