Sonnahmt ist Mahkt in Hameln


Die Idee zu diesem kleinen Stückchen (so nannte einst eine Journalistin der Süddeutschen einen Artikel von mir) kam mir vor einigen Wochen. Und zwar in einer vom Alkohol benebelten Nacht auf dem Balkon eines kleinen Hotels im Weserbergland (den Ausblick zeigt das Foto).

Dass es so etwas wie eine heimatliche Prägung gibt, weiß ich seit Dezember 1985. Weihnachten 85 bin ich nämlich das erste Mal nach Hameln, in die Stadt meiner Geburt, zurückgekehrt, nachdem ich sie verlassen hatte, um in Darmstadt die ständige Vertretung Südniedersachsens im Rhein-Main-Gebiet aufzumachen. Und diese Rückkehr fühlte sich ganz besonders an. Ganz besonders gut. Nach Heimat eben. Diese Heimat-Prägung verursacht aber nicht nur durch räumliche Nähe eine wohlige Vertrtautheit, sondern auch durch Sprache.

Aber das fiel mir erst während meiner Arbeit für die  Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis auf ( das liegt im Sauerland, bevor ihr jetzt zu Google Maps wechselt). Die sprechen da nämlich fast so wie meine Leute in Hameln. Und als ich im April dieses Jahres auf dem siebzigsten Geburtstag meines Onkels war, umzingelten mich plötzlich Satzgebilde und Worte, die ich jahrzehntelang nicht gehört hatte. Doch es brauchte noch einige Wochen, bis die Idee aus mir hervorbrach. Eben auf dem erwähnten Balkon des Hotels im Weserbergland erinnerte ich mich dann endlich.

Einst war ich ‘nen fixen Dölmer.

Dölmers (wichtig: das Plural-s), das sind Kinder, die mit Gleichaltrigen rumdölmern oder rumkalbern, also spielen,  und dabei aus der Sicht von Erwachsenen Blödsinn verzapfen. Wird das Rumkalbern nervig und laut, werden die Dölmers aufgefordert, sofort mit dem Rumramentern aufzuhören. Ignorierte man diese Aufforderung, drohten die Alten auch mal mit der nahegelegenen Irrenanstalt. Du kommst nach Ilten zum Gurkenmähen, hieß es dann. Und das wollte ich natürlich auf keinen Fall, obwohl mir erst viel später klar geworden ist, dass Gurken zu mähen der eigentliche Witz dieser politisch etwas unkorrekten Drohung war. Doch jetzt endlich zur Wuast.

Wer sich samstags auf dem Markt in Hameln eine Wurst bestellt, ist dort ein Fremder. Erstens nennt sich der Samstag dort Sonnabend und zweitens ist eine zu enthusiastische Bewegung des Unterkiefers beim Sprechen zu vermeiden. Denn nur so erreicht man, dass im hinteren Teil eines Wortes die Buchstaben e und r weitestgehend verschwinden und die Wortendung zum langgezogenen Sprachbrei verkleistert. Beispiel: Die Stadt Bremen wird Bremhn (mit leicht verschlucktem n) ausgesprochen. Klar? Also:

Jeden Sonnahmt ist Mahkt in Hameln.

Da isst der Hamelner gern mal eine Wuast. Und hat ihm die geschmeckt, interessiert er sich selbstverständlich für die Herkunft des Schlachters. Metzger gibt es in Hameln nämlich nicht; nur einen Bäcker, der so heißt.

„Wo kommt der wech, der Schlachter?“, fragt er dann, der Hamelner. Und nehmen wir einmal an, der Schlachter kommt aus dem nahegelegen Ort namens Springe, lautet die korrekte Antwort: „Der kommt von Springe.“ Oder auch: „Der ist von Springe.“ Ja, von da ist/kommt der dann wech.

Der Hamelner ist sprachgewandter als wie andere.

Und schmeckt die Wurst sogar besser, als die am Nachbarstand schmeckt, dann, ja dann ist die Wuast besser als wie bei dem nebenan.  Der gemeinsamen Verwendung der Konjunktionen „als und wie“ kommt hier höchste Bedeutung zu. Sie zeigt nämlich, dass sich der Hamelner durch einen clevereren Gebrauch von Sprache auszeichnet als der gemeine Süddeutsche. Denn im Süden der Republik beschränkt man sich häufig auf das „wie“ (größer und schneller wie…) und liegt damit mindestens zu fünfzig Prozent falsch. Diesen möglichen Fehler vermeidet der Hamelner, indem er gerissen die Kombination beider Worte verwendet. Sicher ist eben sicher.

Wie dem auch sei. Gut, dass man darüber miteinander geredet hat oder wie der Hamelner sagt: „Gut, dass man darüber zusammen gesprochen hat.“ Die zeitliche Dimension dieses Satzes – also das zeitgleiche Reden mehrerer – ist nicht etwa zufällig eingesetzt. Deshalb weiß der Hamelner ja auch: „ Da kommt sowieso nix bei raus.“ Das Wörtchen „sowieso“ ersetzt in Hameln übrigens das süddeutsche „eh“ zu rund einhundert Prozent. Mit steigender Tendenz.

In Hameln geht man nicht zu jemandem, sondern nach wem.

Recht hat er, der Hamelner, dass dabei nix raus kommt, wenn man zusammen spricht. Deshalb macht er sich nach der Wuast zu einem Verdauungsspaziergang auf. Sein Ziel ist der nahe Stadtwald. Also meldet er sich ordnungsgemäß ab und sagt: „Ich gehe nachhm Walde.“

Da fällt mir ein: In der Grundschule hatte ich kurze Zeit einen Deutschlehrer. Wahrscheinlich ein Zugereister. So bezeichnete man früher die großzügig in Hameln aufgenommen Kriegsflüchtlinge aus dem Osten, die ausnahmslos einen riesigen Bauernhof oder gar ein Rittergut zurücklassen mussten – aber mindestens.

Kurzer Exkurs für die Jüngeren unter euch: Ihr dürft nicht vergessen, dass ich in einer Zeit zur Schule ging, als rund die Hälfte der Lehrer noch aktive Kriegsteilnehmer gewesen waren und mit nix als Einschusslöchern oder appen  Armen und Händen zugereist waren.

Doch zurück zu diesem Deutschlehrer, der so ein rechter Klugscheißer war. Der wusste nämlich, dass ich niemals bei meiner Großmutter ankommen würde, wenn ich nach Omma wollte. Aber der ist, soweit ich weiß, auch nie Rektor geworden. Denn da kommt doch nix bei raus, bei Klugscheißerei.

Auch in Hameln kriegt man nicht immer was man braucht.

Ich erinnere mich auch, dass mein Vater im Gegensatz zu denen, die ganze Rittergüter verloren hatten, sehr akribisch auf seine Besitztümer achtete. Jedenfalls auf die wertlosen. So auch auf die Kiste voller total verrostetem Werkzeug, die ich gern zum Fotografieren nach Südhessen entführt hätte. Hätte. Denn die äußerst plakative Antwort meines Vaters lautete: „Das will ich noch brauchen.“

Gut, ich wusste inzwischen durch den bereits erwähnten Deutschlehrer, dass brauchen und gebrauchen nicht ganz dasselbe ausdrücken. Doch die gesamte Tragweite der Aussage meines Vaters habe ich bis heute nicht erfasst. Aber sonnenklar war mir sofort, dass ich das Werkzeug nicht kriege. In Hameln kriegt man Dinge nämlich oder eben nicht, bekommen tut einem höchstens ein Schnaps oder eben auch nicht.

Und da einem zu viel auch nicht bekommt, ist es jetzt genug. Hinweisen möchte ich abschließend  noch darauf, dass es natürlich auch Hamelnerinnen gibt, die genauso sabbeln. Und darauf, dass man den Buchstaben a in Hameln nicht immer auch wie einen ausspricht, sondern oft zu einer wohlklingenden Mischung aus a und o greift. Ändert tut das aber auch nix. Ich jedenfalls gehe nachher nach „Best-Worscht-in-Town“ und sehe mal nach, ob die ne Wuast für mich hahm.

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Bei den bild.sprachen hat es click gemacht.

  1. Christoph

    Danke! Das ist mal ne erhellende (Launen erhellende) Morgenlektüre – und ich hab auch noch was gelernt haben tun…

    „Das will ich noch brauchen“ sollte ein echter Standardsatz deutscher Besitzstandswahrung werden!

    Geil wieder Hamelner an sich und für sich fabu- und formulieren kann. Und, ja die politische Korrektheit schreibt’s ja vor – auch die Hamelnerin.

  2. Georg

    Großartig! Hier an der südlichen Kante des Münsterlandes ist auch immer toll was zu hören: Neusprech aus Ruhrpott (nee is klar, ne?), Kanackisch (ey, Alder, guckstu!), Gangsta (isch, misch, nisch), Platt (moin!) und div. anderen „Sprachverdölmereien“ … höchst amüsant. (Und sowieso nicht aufzuhalten.) Da ist „isch mach misch fott“ (südhessisch für nach Hause fahren) doch manchmal ganz gut gegen’s Zähneknirschen.

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