Die Frau, die Männerwelten schuf


Sie hat über 200 Geschichten geschrieben und Drehbücher für einige der wichtigsten Filme der Kinogeschichte verfasst. Humphrey Bogart, John Wayne, Elliot Gould und Harrison Ford, um nur einige zu nennen, haben vor der Kamera geplappert, was Leigh Brackett geschrieben hat. Und sie wurde als erste Frau mit dem bedeutendsten Preis für Science Fiction Literatur ausgezeichnet – mit dem Hugo. Ihr letztes Drehbuch schrieb sie für den Star Wars Film „Das Imperium schlägt zurück“. Ihr ist dieser Film auch gewidmet. Wie dieser Blog-Beitrag eines – sagen wir – in die Jahre gekommenen Fan-Boys.

Ich esse zu gerne und trinke zu viel, aber süchtig bin ich eigentlich nur nach guten Geschichten in Büchern, Comics oder Filmen. Dabei bevorzuge ich kein bestimmtes Genre, interessiere mich aber sehr für die Köpfe hinter den Stories. Und Leigh Brackett ist eine dieser Köpfinnen. Sie wurde 1915 geboren und fing früh an, erfolgreich Geschichten zu schreiben. Das waren Krimis, Western oder Science Fiction-Erzählungen. Von ihren Büchern weiß ich wenig, aber ich habe fast alle Filme nach ihren Drehbüchern im Regal stehen und es vergeht kein Jahr, indem ich nicht mehrere dieser Filme sehe.

Erstkontakt

Mitte der Siebziger (ja, die Siebziger im letzten Jahrhundert) hatte ich Tolkiens Der Herr der Ringe gelesen und mein Interesse an Fantasy-Literatur war geweckt. In der Folge entdeckte ich also Conan und Konsorten. Und so fiel eines Tages in einem Kaufhaus mein Blick auf zahlreiche Remittenden der Buchreihe Terra Fantasy aus dem Pabel Verlag. Ich wühlte, wie es sich gehört,  in den Büchern auf dem Grabbeltisch herum und hatte schließlich einige preisreduzierte Bände in der Hand. Darunter das Werk eines Autors namens Leigh Brackett.

Nun ist Leigh sowohl ein männlicher als auch weiblicher Vorname, und dass eine Frau „Sword and Sorcery“ schreibt … das konnte ich mir selbst in den wildesten meiner spätpubertären Phantasien nicht vorstellen. Außerdem fand ich das Buch echt … also echt nicht ganz so gut. Buchtitel und Autorennamen legte ich folgerichtig in einer Region meines Gehirns ab, die ich nicht ganz so häufig besuche. Erst als ich Jahre später begann, mich mit dem US-Regisseur Howard Hawks zu beschäftigen, gab mein Gehirn Leigh Brackett wieder frei.

The Big Sleep

1946 suchte Howard Hawks einen Drehbuchautor für sein aktuelles Film-Projekt The Big Sleepnach Raymond Chandlers gleichnamigem Roman. Er beauftragte seine Sekretärin, diesen „Burschen namens Brackett“ anzurufen, dessen Kriminalroman No Good from a Corpseihn stark an Chandlers Erzählweise erinnerte. Zu seiner Überraschung entpuppte sich der Autor als Frau. Hawks unterlief also der gleiche Irrtum wie später mir, er hatte sich vom Vornamen und dem Genre täuschen lassen. Sie bekam den Job trotzdem.

Einige Quellen geben an, dass ihr Entwurf nicht verwendet wurde, doch in den Credits wird sie gemeinsam mit William Faulkner und Jules Furthman genannt. Und wenn man weiß, dass sie noch vier weitere Filme mit Hawks realisieren wird, kann sie nicht ganz schlecht gewesen sein. Wie auch immer, der Streifen mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall wurde ein Meilenstein der Kriminalfilme.

Aber nicht nur beruflich war 1946 für die junge Autorin, ein spannendes Jahr. Denn sie heiratete in diesem Jahr den Sci-Fi Schriftsteller Edmond Moore Hamilton, der ja bestens als Autor nahezu aller Abenteuer des Captain Future, Man of Tomorrow bekannt war. Und wie seine Frau sollte er am Lebensende auf ein Werk zurückblicken, das ebenfalls aus Hunderten von Erzählungen und Romanen bestand. Darunter auch eine Vielzahl von Comics für DC (z.B. Batman und Superman). Er gilt heute als einer der Väter der sogenannten Space Opera und das typische Muster „Mann oder Team löst ein gefährliches Problem oder rettet gar die Welt aus einer hoffnungslosen Situation“ brachte ihm den Spitznamen „Weltenretter“ ein.  Kenner des Genres sagen, ohne seine Ideen wären Star Treck oder die deutsche Raumpatrouille wahrscheinlich nie entstanden.

Die beiden vielbeschäftigten Schreiber sollten ihr Leben lang ein Paar bleiben. Und es wäre sicherlich spannend gewesen, zu sehen wie so ein Kreativ-Arbeitstag im Hause Brackett/Hamilton verlief, aber darüber – ob und inwieweit das Autorenpaar sich gegenseitig in ihrem Werk beeinflusste – habe ich keinerlei Hinweise gefunden.

Rio Bravo

Nach The Big Sleep sollten einige Jahre vergehen bis Brackett und Hawks wieder gemeinsame Wege beschritten. Das Ergebnis dieser Arbeit aus dem Jahre 1959 war ein Western, der sicherlich zu den wichtigsten Werken nicht nur dieses Genres zählt und Filmschaffende bis heute stark beeinflusst. Für einige Kritiker zählt Rio Bravo zu den zehn besten Filmen der Welt.In Rio Bravo stellen sich John Wayne, Dean Martin und Angie Dickinson, die wichtigsten Charaktere einer kleinen Gruppe, der Willkür einer übermächtigen Gruppe entgegen. Die Idee zu dem Film lieferte Barbara Hawks, die Tochter des Regisseurs. Brackett und wiederum Furthman sorgten gemeinsam für das Drehbuch.

Dieser Klassiker zählt zu den Lieblingsfilmen von Quentin Tarantino. Und John Carpenters Film Assault – Anschlag bei Nacht (ein weiterer Lieblingsfilm Tarantinos) kann getrost als Hommage  an den Western gesehen werden. Seine Verbeugung vor der Drehbuchautorin geht später sogar noch weiter. In Halloween und dessen Fortsetzungen spielt die Figur Sheriff Leigh Brackett eine wichtige Rolle.

Selbst die Reihe Tatort kam nicht an diesem Ausnahme-Western vorbei. Die 2019 ausgestrahlte Folge Angriff auf Wache 08 zitiert ganz offen Assault, Rio Bravo und dessen späteren Nachfolger El Dorado.

Und für das Comic-Album Der Mann mit dem Silberstern aus der Reihe Blueberry kupferten Autor Charlier und Zeichner Giraud (Möbius) die Story ziemlich werkgetreu ab. Aber es heisst ja, nur der Erfolreiche wird ja kopiert.

Hatari

An Ostern oder Weihnachten ist dieser romantische Abenteuerfilm aus dem nachmittäglichen Fernsehprogramm seit Jahrzehnten nicht wegzudenken. Hatari, was aus dem Suaheli übersetzt „Gefahr“ bedeutet, kam 1962 in die Kinos und erzählt die Geschichte einer bunt zusammengewürfelten Schar Abenteurer, die in der Steppe von Tansania wilde Tiere für Zoologische Gärten fangen. In den Hauptrollen agieren John Wayne, Elsa Martinelli, Hardy Krüger und eine Reihe weiterer international bekannter Schauspieler. Berühmt ist dieser Film auch für Baby Elephant Walk des Komponisten Henry Mancini. 

El Dorado und (leider) Rio Lobo

Im Prinzip erzählten Hawks und Brackett in El Dorado (1966) die selbe Geschichte wie Jahre zuvor in Rio Bravo. Eine kleine Grupppe kämpft gegen eine Übermacht. Allerdings variierten sie das Thema in der Weise, das sich die Helden nicht nur den Gegnern sondern auch der eigenen nachlassenden Kraft stellen müssen. Im Zentrum steht dabei wieder Wayne, dem dieses Mal der saufende Robert Mitchum assistiert (in Rio Bravo war das der trinkende Dean Martin).

Leigh Brackett hielt das Skript für besser als das für Rio Bravo, Hawks war es jedoch zu tragisch. Beiden war aber die Nähe ihrer Geschichte zur vorangegangenen sehr klar. Deshalb bauten sie bewusst einige klare Gegensätze ein. Ein Beispiel: Stand den Guten in Rio Bravo noch ein junger Mann zur Seite, der sehr gut schießen konnte ( dargestellt von Sänger Ricky Nelson), konnte in EL Dorado der juvenile Sidekick James Caan überhaupt nicht schießen. Während der Film entstand notierten sich Brackett und Hawks einige Ideen, die sie später verwenden wollten. Und das taten sie auch drei Jahre später in Rio Lobo, ihrem letzten gemeinsamen Film.

Tatsächlich erzählten sie zum dritten Mal ihre Story, aber weder Brackett noch Hawks waren in Hochform. Und selbst Wayne, der seinem Regisseur absolut vertraute, stellte die Frage: „Darf ich diesmal den Säufer spielen?“ Doch diese Rolle übernahm Jack Elam, der eigentlich auf Bösewichte abonniert war. Wayne blieb wieder er selbst und Elam war ein sehr passabler Trinker.

Im Western Lexikon von Joe Hembus sind Rio Bravomit drei, El Dorado mit zwei und selbst Rio Lobo noch mit einem Sternchen gekennzeichnet. Die Sterne beschreiben die Bedeutung des Films in der Entwicklung des Westerns und folgerichtig müssen die meisten der 1324 Filme im Lexikon ohne Stern auskommen (ich habe allerdings nicht nachgezählt).

Es war nicht nur die letzte Zusammenarbeit; es war auch die letzte Regiearbeit von Howard Hawks, produziert im Jahr 1970. Eins der zentralen Themen der meisten seiner Filme war Auflösung der klassischen Geschlechterrollen, bei Männern, doch insbesondere bei den Frauen. Und Brackett wusste genau, wie der Regisseur sich seine Heldinnen vorstellte. Zwar durften sie lange Beine und immer gutaussehende Haare haben, aber nicht zu viel Busen und vor allem durften sie keine Mädchenklischees erfüllen oder gar niedlich sein. Ehrliche Typen mussten sie sein mit viel Humor, so wie Lauern Bacall in The Big Sleep oder Angie Dickinson in Rio Bravo. Und vielleicht lag hier auch das Geheimnis der Zusammenarbeit von Drehbuchautorin und Director.

 The Long Goodbye

Drei Jahre später, 1973, schrieb sie die endgültige Version des Drehbuchs für Film nach Chandlers letztem Roman The long Good-Bye, deutscher Titel Der Tod kennt keine Wiederkehr. Und fast wäre es doch noch zur erneuten Zusammenarbeit mit Howard Hawks gekommen.

Die Idee zu dem Film entstand bereits 1965. Basierend auf der Romanvorlage verfasste Stirling Silliphant (u.a. In der Hitze der Nacht, Flammendes Inferno) ein Script, das die Handlung aus den Vierzigern in die Gegenwart verlagerte. United Artists erwarb das Drehbuch, um Chandlers Detektiv Philip Marlowe im Los Angeles der frühen Siebziger seinen Fall lösen zu lassen, beauftragte aber Leigh Brackett mit der Überarbeitung des Buches. Sie nahm gehörige Änderungen vor – auch gegenüber der Romanhandlung.

Wunschregisseure der Produktionsgesellschaft waren Howard Hawks und Peter Bogdanovitch, der bereits eine kurze Filmographie über den Kollegen Hawks geschrieben hatte. Beide standen jedoch nicht zur Verfügung. Also ging der Job an Robert Altman, der Elliot Gould als Marlowe engagierte.

Es entstand eine Chandler-Verfilmung, die wahrscheinlich niemand erwartet hatte. Und tatsächlich stellte sich der Erfolg nicht auf Anhieb ein. Vielmehr reifte dieser Film wie ein guter Wein, den im Laufe der Jahre immer mehr Kenner entdecken. Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass die Macher des Films ein Grundmuster für heutige Kriminalfilme schufen, die sich klassischer Elemente und dramaturgischer Strukturen des Hard-Boiled-Krimis und des Film Noir bedienen, aber in der Zeit der Entstehung des Films oder gar der Zukunft spielen. Als Beispiele mögen dafür The Big Lebowski oder auch Ridley Scotts Bladerunner dienen.

Anfang des neuen Jahrtausends lief im deutschen Fernsehen ein fünfundvierzig Sekunden langer Werbespot für das Katzenfutter der Marke Whiskas. Er wiederholte nahezu unverändert eine Sequenz aus The long Good-Bye, in der Phillip Marlowe versucht, seine Katze zu füttern – zu sehen auf youtube.  

The Empire Strikes Back

In der Folge schrieb Leigh Brackett weiter unterschiedliche Erzählungen und für das Fernsehen, darunter für Serien wie The Rockford Files (deutsch Detektiv Rockford – Anruf genügt). Sie lebte zu der Zeit mit ihrem Mann abwechselnd in Ohio und Kalifornien. Erst als Edmond Hamilton 1977 starb, gab Brackett ihren Wohnsitz in Ohio auf.

Zu der Zeit hatte George Lucas das Treatment für sein aktuelles Projekt, den zweiten Star Wars Film fertiggestellt und suchte einen Drehbuchautor, der Dialoge im Stil der Vierziger Jahre schreiben konnte. Seine Wahl fiel auf Leigh Brackett, die sich auch unverzüglich ans Werk machte und ihren Entwurf im Februar 1978 fertigstellte. Aber bevor sie mit George Lucas ihre Arbeit besprechen konnte, starb die Schriftstellerin. Nach ihrem Tod wurde Lawrence Kasdan beauftragt ihre Version zu überarbeiten. Leigh Bracketts Arbeit an The Empire Strikes Back wurde mit einer Erwähnung im Abspann gewürdigt. Der Film wurde 2006 von der Filmzeitschrift Empire zum besten Film aller Zeiten gewählt, wie auf Wikipedia zu lesen ist. In der aktuell Hitliste der Zeitschrift Cinema rangiert er auf Platz Zehn. Nun glaube ich nicht an solche Hitparaden, dennoch kann man in beruflicher Hinsicht wohl kaum würdiger und erfüllter aus dem Leben scheiden.

Das Ende

Über die private Seite der Autorin habe ich nicht viel mehr herausbekommen, als im Text zu finden ist. Ich denke, ihre Arbeit hatte schon einen sehr hohen Stellenwert in ihrem Leben. Bemerkenswert ist, wie einflussreich viele der Projekte waren, an denen sie Teil hatte. Wie man ihre Beiträge dazu im Einzelnen bewerten kann, weiß ich nicht. Was ich aber weiß, dass sich keine Frau zwischen den Vierziger und Achtziger Jahren in einer Männerwelt so erfolgreich behaupten konnte, wenn sie nicht verdammt gut war, in dem was sie tat. So gut wie Leigh Brackett.

Wer Lust hat, einen ihrer Romane auf deutsch zu lesen, der wird nur antiquarisch fündig. Neben zahlreichen Ausgaben ihrer Science Fiction und Fantasy Erzählungen, erschien im Heyne Verlag Rio Bravo und im Schweizer Unionsverlag unter dem Titel Raubtiere unter uns die deutschsprachige Ausgabe ihres Buches The Tiger Among Us aus dem Jahr 1957 vor, der 1962 mit Rod Steiger und Alan Ladd verfilmt wurde.

Für die Illustration des Artikels habe ich auf gemeinfreie Bilder zurückgegriffen.

(Beim Schreiben u.a. natürlich gehört: „My Rifle, My Pony And Me“ aus Rio Bravo, gesungen von Dean Martin und natürlich „Baby Elephant Walk“ von Henry Mancini aus Hatari)

Quellen: Recherchiert habe ich auf gefühlt unzähligen Websites, deren Aufzählung ich mir hier spare, weil dieser kleine Artikel keine Doktorarbeit ist. Und wichtiger waren auch folgende Buchtitel aus meinem Regal:

  • Die Kamera auf Augenhöhe, Begegnungen mit Howard Hawksvon Hans C. Blumenberg
  • Western Lexikon von Joe Hembus
  • John Waynevon George Caprozi
  • Lexikon der Science Fiction Literaturvon Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke