Über die Authentizität der Fotografie, Teil 4

Fotografien, ob analog oder digital erstellt, werden zumeist in Verbindung mit textlichen Elementen, wie Bildunterschriften oder Headlines, publiziert. Diese Kombination aus visuellen und visuell-verbalen Elementen führt zu einer (neuen) Gesamtaussage, die sich nicht mehr auf die Absicht des Fotografen oder den Inhalt des Bildes reduzieren lässt. Und in diesem Kontext rückt die Authentizität einer Fotografie in ein völlig neues Licht.

Oft, wenn nicht meistens, haben der Fotograf und/oder der Digital Artist keinen Einfluss darauf in welchem Zusammenhang ein Bild veröffentlicht wird. Selbst eine Werbefotografie, die im Rahmen eines klar definierten Auftrags entsteht, erhält ihre finale Aussage erst durch die sprachliche / textliche Erweiterung – ob es sich um Anzeigen, Plakate oder andere Werbemittel handelt. Bieten die Bildschaffenden ihre Werke über Bildagenturen an eröffnet sich ein nahezu unbegrenztes Nutzungsspektrum. Zwar können Themenfelder, in denen ein Bild eingesetzt wird, ausgeschlossen oder begrenzt werden, aber letztlich wird die Gesamtaussage von Bild und Text durch Verlage, Werbeagenturen oder andere Verwerter erzeugt. Einige Beispiele machen die Mechanismen deutlich:

 

Meine erste Banane

Die berühmte Titelseite der Titanic (11/1989) zeigt das Portrait einer jungen, glücklich lächelnden aber unbekannten Frau, die eine zur Hälfte geschälte Gurke in der Hand hält. Dass sie die neunzehnjährige Zonen-Gaby ist, erläutert dabei die Bildunterschrift. „Meine erste Banane“ ist die Headline, die hier durch die Gestaltung zu ihrer wörtlichen Rede wird, zu ihrer Sprechblase sozusagen.

Erst durch die Kombination der drei Elemente funktioniert „der Witz“. Ob es sich bei der abgebildeten Frau wirklich um Zonen-Gaby handelt und ob sie die Gurke tatsächlich für eine Banane hält, ist dabei unerheblich – die Authentizität der Bild-Text-Collage ergibt sich ausschließlich aus der Absicht zur Satire.

Werbung funktioniert nach dem gleichen Prinzip – erst die Mischung erzählt die komplette Geschichte und die Authentizität der Botschaft verbirgt sich hinter der Kommunikations-Absicht.

 

Haig und die Miskito-Indianer

Um die Aktivitäten des US-Militärs zu rechtfertigen kommentierte Anfang der achtziger Jahre der US Außenminister Haig journalistische Fotos von „Massakern der Sandinistas an Miskito-Indianern“. Tatsächlich waren die Bilder zu der Zeit nicht mehr nicht aktuell. Sie stammten aus der voran gegangenen Somoza-Diktatur und zeigten Miskitos, die der damaligen Nationalgarde und eben nicht den sandinistischen Rebellen zum Opfer fielen. (siehe auch Spiegel 11/1982)

Bewusst oder unbewusst wurden hier journalistische Fotografien ihrer tatsächlichen Authentizität beraubt indem sie in einen falschen und für Betrachter nicht überprüfbaren Kontext gestellt wurden.

 

Vom Ozonloch zur Kinderarbeit 

Ein Artikel über das Ozonloch in der Frankfurter Rundschau wurde einst durch eine Schwarzweiß-Fotografie illustriert, die einen wolkenverhangenen Himmel zeigte. Der Bildredakteur hatte einfach ein Loch in die Mitte des Fotos gerissen, um das Bild dramatischer mit dem Inhalt des Artikels zu verbinden, es spezifischer für das Thema zu machen. Natürlich zeigten weder die grauen Wolken noch das manuell hinzugefügte Loch authentisch ein Ozonloch. Vielmehr erzeugte der Redakteur durch die rabiate Manipulation die offensichtliche Visualisierung einer Idee, die durch die Betrachter auch so verstehen war. Und wie Gabis erste Banane entsteht hier erst durch die Kombination von Bild und Text eine nachvollziehbare Botschaft.

Anders muss man die 2019 vieldiskutierten Bilder von Patrick Pleuel zur Kinderarmut in Deutschland bewerten. Diese Serie suggeriert „innerhalb der Artikel“ Authentizität. Entstanden sind die gestellten Fotografien aber für die Verwertung durch Bildagenturen und auf eine Art und Weise, die Betrachtern keine Möglichkeit zur Überprüfung der dargestellten Situationen bietet. Sie illustrieren keine Idee, sondern gaukeln so ein Abbild der wirklichen Welt vor.

Jetzt kann man dem Fotografen und der Bildagentur einfach unterstellen, mit dem Bedarf an solchen Fotos durch Journalisten geliebäugelt zu haben, aber faktisch lügen hier wieder nicht die Bilder – sie zeigen lediglich eine traurige Kinderwelt. Wie im Fall der Miskito-Indianer entsteht die vermeintliche Lüge durch das Bild wieder erst im Kontext.

 

Wie Dürrenmatts Physiker

Wenn digitale oder analoge Bilder im Zusammenhang mit Text rezipiert werden, reicht es nicht, einen kritischen Blick allein auf das Bild zu werfen. Denn diejenigen, die das Bild für ihre Zwecke verwenden, verändern in der Regel den Grad der Authentizität oder das, von dem sich die Authentizität ableitet. Das entbindet jedoch auch nicht Fotografen oder Digital Artists von jeglicher Verantwortung dafür, wie und in welchem Rahmen ihre Werke publiziert werden.

Wer Bilder betrachtet oder damit arbeitet setzt sich immer auch mit dem ethischen Denken und Handeln derjenigen auseinander, die Bilder machen, nutzen und publizieren. Und eben die können wie die drei Physiker in Dürrenmatts Drama Verantwortung für ihr Tun übernehmen, auf andere abschieben oder eben der Allgemeinheit überlassen.

(Das Bild habe ich unter dem Titel „Finde den Fehler“ auf Facebook veröffentlicht. Es entstand im Rahmen eines permanent sporadisch verfolgten Projektes, das die Außenwerbung von Hofläden und landwirtschaftlichen Betrieben im südhessischen Raum locker dokumentiert.)