Über einen fotografischen Essay zur Unternehmensdarstellung
Noch bevor ich meine Diplomprüfung als Foto-Designer ablegte, stand für mich fest: Ich werde nicht als professioneller Fotograf arbeiten, ich werde nicht zur Belichtungsmaschine für andere Leute, die sich Bilder ausdenken und nicht beurteilen können. Gesagt, getan. Das war 1990, glaube ich. Seitdem schreibe ich Konzepte für Kommunikationsstrategien, denke mir einzelne Maßnahmen aus, schreibe die Texte und Drehbücher dazu und erfinde Bildwelten – nur fotografiert habe ich auf Honorarbasis nicht mehr. Bis jetzt.
Als Dirk Hoppmann mich angesichts meiner einhundert freien Reportagen für „Endlich! Gutes.“ fragte, ob ich nicht auch für die neue „Freisicht“ Website die Mitarbeiter bei der Arbeit fotografieren würde, habe ich zuerst gezögert. Zuerst. Dann habe ich die Möglichkeit erkannt, fotografische Ideen für Unternehmensdarstellungen umzusetzen, die ich schon lange mit mir herumtrage. Diese Ideen habe ich Dirk vorgetragen. Ich wollte statt Mitarbeiter bei der Arbeit zu fotografieren einen photographischen Essay über „Freisicht“ schaffen und Dirk hat mich gelassen, was ich außerordentlich prima finde.
Ich musste also ran und es entstand meine erste fotografische Auftragsarbeit seit fast dreißig Jahren. So und ihr, liebe Leserinnen und Leser müsst jetzt lesen oder scrollen, denn die Bilder kommen erst zum Schluss.
Es geht um Wahrheit, aber unlangweilig erzählt
Freundliche Fressen grinsen mich an – kompetent und seriös. Oder die Abgebildeten gehen gewissenhaft ihrer Arbeit nach, um mein Vertrauen in die angebotenen Leistungen zu stärken. So in etwa präsentieren mir die meisten Unternehmen ihre Mitarbeiter in Imagebroschüren oder auf Websites. Aber will ich das sehen?
Wenn es handwerklich gut gemacht ist, es durch eine möglichst individuelle, spannende Bildsprache überzeugt und die Idee hinter den Bildern glaubhaft rüber kommt, vielleicht. Sonst nicht. Nein. Sonst nicht.
Der entscheidende Faktor einer markenfördernden Kommunikation ist nämlich nicht in erster Linie eine Frage der Ästhetik oder der technischen Perfektion, sondern eine Frage überzeugender Glaubhaftigkeit. Was nützt ein gelecktes Foto, wenn ich als Betrachter sofort merke, dass man mir hier einen – wenn auch schönen – Bären aufbinden will. Wenn ich denke: Cooles Bild, aber das sind die niemals.
Natürlich spricht nix gegen eine dramaturgische Überhöhung, wenn sie konzeptionell begründet ist, aber als Betrachter will ich mich schon ernst genommen fühlen. Und manchmal ist dabei der Boden der Tatsachen eben fruchtbarerer als das Wolkenkuckucksheim.
In jedem Fall soll eine Erzählung, auch eine visuelle, soll das Thema erschöpfen, nicht die Zuhörer, Leser oder Betrachter. Sie soll informieren, aber auch Neugierde schaffen, die über den Pflicht-Inhalt hinausgeht, die Lust auf mehr macht.
Möglich wird das durch eine überraschende Interpretation der Aufgabe durch den Fotografen, nicht aber durch ein eng geschnürtes konzeptionelles Korsett. Da kann der Lichtbildner noch so toll sein – das wird nix.
Hier ein Parade-Beispiel dafür, das ich einer großen Frankfurter Agentur erlebt habe: Der für einen bekannten Finanzdienstleister zuständige Art-Director hatte einen Lieblingsfotografen namens Martin Parr. Das ist ein weltweit berühmter Bursche mit großem Sinn für Humor. Beispielsweise rückt er mit einer atemberaubenden Rücksichtslosigkeit den Leuten mit Ringblitz und kurzer Brennweite auf die Pelle, um deren Knollennasen und Hautunreinheiten ganz vortrefflich herauszuarbeiten. Und jetzt wurde er beauftragt, junge, dynamische Fond-Manager (oder waren es Anleger) zu portraitieren. Klar, dass ein weichgespültes Finanzdienstleisterkommunikationskonzept von der parrschen Skurrilität nichts überließ. Und tatsächlich waren belanglose Bewerber-Portraits die Folge der künstlerischen Kastration.
Gebt dem Fotografen und dem Zufall eine Chance
Am Freitag wird gegrillt, sonst kümmert man sich bei Freisicht die ganze Woche um die Belange der Kunden in der digitalen Welt. Mitarbeitende hauen in die Tastatur, blicken auf Monitore oder treffen sich zu Besprechungen – kurz eine Ausgangslage, die Fotografen heute von überall her kennen. Eine Ausgangslage, die eine überraschende Vorgehensweise fordert, um möglichst Ungesehenes zu produzieren und die Lebendigkeit des Unternehmens zu dokumentieren.
Deshalb schlug ich Dirk vor, auf ein klassisches Shooting zu verzichten. Stattdessen wollte ich mich einige Stunden über die Woche verteilt in den Räumen herumtreiben und fotografieren. Ich wollte die Digital-Bude analog im Lomo-Style interpretieren und erhielt den Zuschlag. Crazy but cool.
Ich habe in den Räumen von Freisicht auf überlagerte Farbnegativ-Filme fotografiert, mit der Autofocus-Kleinbild-Sucherkamera Yashica T4, ausgestattet mit einem 35mm Tessar von Carl Zeiss. Nicht immer habe ich durch den Sucher geschaut und wahlweise den eingebauten Blitz genutzt oder auch nicht. Für das Ergebnis habe drei Agfa Vista 200, 135-36er belichtet, die noch vor 2005 produziert worden sind. Die Negative habe ich scannen lassen und in Photoshop bearbeitet.
Und wenn ihr Leserinnen und Leser diese Bilder jetzt seht und denkt, dass die ja ganz grieselig und teilweise unscharf sind – ja, das sind sie zum Glück. Denn es ist zumeist nicht die technische Perfektion, die ein gutes Bild ausmacht, sondern das Gefühl, das es beim Betrachter erzeugt. Und Gefühle sind bei imagebildenden Medien die relevantesten Informationen überhaupt. Aber das wisst ihr in eurem Inneren ja selbst. Und jetzt: Sucht den Fotografen eures Vertrauens und lasst auch zu, woran ihr selbst nicht gedacht habt. Seht in den Bildschaffenden die Experten, die sie sind und gebt ihnen den nötigen Freiraum. Denn das wird gut, sage ich euch. Doch jetzt seht und staunt.
(Beim Schreiben aus gutem Grund gehört: „Release“ von den Pet Shop Boys. Denn mit diesem gitarrenbetonten Album verließen die Pet Shop Boys 2002 ihren gewohnten tanzbaren Stil. Die erste Auskopplung war „Home And Dry“. Der von Wolfgang Tillmans dazu gedrehte Videoclip https://www.youtube.com/watch?v=ossii9Ipiv4 zeigt eigentlich nur knuffige Mäuse auf den Gleisen eines Bahnhofs und verwackelte Liveaufnahmen der Pet Shop Boys. Die Jungs vom Plattenlabel waren entsetzt und wollten das Video stoppen, doch da war es bereits ein Renner im Netz. So viel auch hier zur Intention der Bildermacher und zu kontrolliertem Zufall und zur Voreingenommenheit mancher Auftraggeber.)
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