Wahrscheinlich liegt es in der Familie – das mit den Lebensmitteln jedenfalls. Mein Großvater jobbte in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts in den Schlachthöfen Chicagos und war später Lebensmittelgroßhändler. Mein Vater begann eine Ausbildung zum Müller, brach die jedoch ab und übernahm später den Laden meins Großvaters. Und ich brachte dann noch später das mit der Fotografie ins Spiel. Außerdem futtere ich von allen genannten am liebsten.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre oder die ersten Getränkestilleben
Einst betrat ein Fleischer (so nennt man im hohen Norden den Metzger) das Studio meines Ausbildungsbetriebs, um für eine Angebotsanzeige einen recht großen Schinken knipsen zu lassen. Schnell wurden der Fleischbatzen und ein Fläschchen Doppelkorn auf ein kariertes Deckchen gedengelt und geknipst. Den Schinken drückte mir dann der zufriedene Fleischer in die Hand und sagte zu mir, an meinem Chef vorbei, den sollen wir uns teilen. Was der Chef dann auch tat – im gerechten Verhältnis von etwa vier zu eins.
Kurze Zeit später fand vor Weihnachten die Verlosung einer Weihnachtsgans statt, an der sich alle Geschäfte beteiligten, die in der Brunnenstraße zu Bad Pyrmont ansässig waren. So auch das Fotogeschäft, in dem ich etwas lernen sollte und wohl auch tat. Die Geschäftsleitung nötigte alle Mitarbeiter ein Los zu ziehen. Mich auch. Und was soll ich sagen, ich zog das Los mit dem Hauptgewinn – die Gans sollte ganz mir gehören. Dachte ich. Denn der Chef erlaubte mir nicht, das Los einzulösen. Das ginge ja überhaupt nicht, lamentierte er. Selbst das Angebot meines Vaters, noch eine Gans für eine Firmenweihnachtsfeier draufzulegen wurde rigoros ausgeschlagen.
Ansonsten hatte ich während meiner Ausbildung zum Gesellen des Fotografenhandwerks mit Lebensmitteln fast nix zu tun, sieht man einmal von den zwei Aufgaben für das Berichtsheft ab. Beide sind gezeichnet vom abgrundtiefen Mistrauen gegenüber den eigentlichen Produkten. Geschichten mussten her und ich erzählte welche. Voller pubertierender Geschwätzigkeit inszenierte ich so recht steife Stillleben von geistigen Getränken. Ja, Schach und Schnaps. Geschnackelt? Aber das Licht ist ja doch ganz ordentlich.
Studium oder das Knipsen von Lebensmitteln heißt jetzt Food Photography
Ich weiß nicht mehr, in welchem Semester es sich zutrug, aber es muss so zwischen dem drittem und dem fünften Semester gewesen sein. Ein Foodkurs wurde angeboten und ich, mit dem Auge für die wesentlichen Angebote der Hochschule ausgestattet, schlug zu. Als einer von drei Studenten.
Es war ein heißer Frühlingstag, als ich Gemüse in ein Aquarium voller Wasser steckte, Luft hineinblies um den Kochvorgang zu imitieren und den Wasserdampf mit einer Zigarette erzeugte. Und es war ein heißer Frühlingstag, als ich mit den entwickelten Planfilmen am nächsten Tag das Studio betrat. Sofort war klar, dass nicht nur die Filme einen Entwicklungsprozess hinter sich gebracht hatten, sondern auch das Gemüse. Verwesung hing in der Luft. Es folgte, was einen geistesgegenwärtigen Fotografen ausmachen sollte. Möglichst coolen Blick aufsetzen, exorbitant schnell das Set entsorgen, Freibier für die geschädigten Mitstudenten. Und, ach ja, lüften.
Der Rest vom Kurs ist schnell erzählt. Die Achtziger tobten. Alles war bunt, laut und streng komponiert. Unwichtig war, ob die kulinarischen Objekte verzehrbar waren oder nicht. Hauptsache stylish. Mehr oder weniger. Den Nuss-Lolli beispielsweise habe ich völlig skrupellos aus Kunstharz gegossen. Wichtig war eigentlich nur, dass auch der oberste Knopf des Fotografen-Hemds geschlossen war. So wie beim FBI-Agenten Dale Cooper in Twin-Peaks, der so gern Kirschkuchen aß.
Im Hier und Jetzt und von pointierten Zufällen
Heute ist alles anders. Aus dem Laden frisch in die Hohlkehle ist die Devise. Kein drumherum. Alles ganz pur. Und sehr spontan. Das Licht ist, wie es ist. Dringt durch Objektive, die verzeichnen und vignettieren. Durch jede Ritze der Holga und der Diana. Auf Filme die jahrelang überlagert sind. Auf Polaroids, die machen, was sie wollen. Ich mache alles falsch und alles richtig. Der Zufall führt Regie. Und plötzlich: Leben.
Und Auszeichnungen dafür. Entschuldigung: Awards. RedDot und German Design Award special mention für ein Kochbuch, dessen Fotos ich auf zehn Jahre alte SX-70 Filme bannte. Wenn mir das alles nur einer früher gesagt hätte. Ja, dann hätte ich es wahrscheinlich genauso gemacht. Ich kenne mich ja inzwischen ganz gut.
Und wo wir schon bei mir sind: Es hat sich noch etwas verändert. Ich vertilge, was ich so an Lebensmitteln fotografiere. Hinterher natürlich. Alles wird zubereitet und aufgefuttert. Ist doch Ehrensache.
Und was zu sagen bleibt ist: Alle. Alle.
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