Neulich im Teutoburger Wald.


Kennt ihr eigentlich die Externsteine im Teutoburger Wald? Diesen maroden Unterkiefer eines riesigen, versteinerten Drachens, von dem sonst nichts übrig ist? Nein? Dann fangen wir vielleicht einfach vorne an. Der Teutoburger Wald befindet sich nahe einer Stadt namens Bielefeld. Und Bielefeld kennt ihr, weil es das ja bekanntlich nicht gibt. Den Teutoburger Wald aber gibt es, weil ich da war – wegen der Externsteine.

Leichter Regen, grauer Himmel und Mittagssonne, wenn man sie sehen könnte. Das sind die Rahmenbedingungen, als ich den Wagen auf dem gähnend leeren Parkplatz verlasse. Ich bin allein, denn außer mir ist nur der obligatorische Reisebus aus Holland da (sind eigentlich überall Holländer, wo ich auftauche? Ich glaube ja inzwischen, dass die Invasion nicht vom Mars kommt, sondern aus Zandvoort. Aber sie sind nicht auf der Flucht vor dem steigenden Meeresspiegel. Sie kommen in allem, was fährt, um uns einer der wichtigsten Kulturgüter zu berauben, die wir haben: Sie wollen unsere Gardinen. Wenn euch also eine fehlt …).

Zurück zum Thema: Ich bin, wie gesagt, allein. Allein unter Holländern. Das Wetter ist mies, aber ich nehme die Kamera trotzdem mit. Vielleicht ist ja was umgefallen seit meinem letzten Besuch, der ziemlich genau im Februar 1990 war.

Es sind nur einige hundert Meter vom Parkplatz bis zu der bizarren Gesteinsformation. Aber die muss man dank geschickter Aufforstung gehen, um etwas zu sehen. Der Weg führt vorbei an einer Schneekugelvertriebsbude, die auch schmucke Anstecknadeln und Beschläge für Spazierstöcke feilbietet. Ergänzt wird das Angebot durch Eis am Stiel und  auch ein Automat für frisch geprägte Gedenkmünzen fehlt Gott sei dank nicht.

Schräg gegenüber liegt das Restaurant für Schnitzel und Pommes und Kaffee und Sahnetorte. Die Architektur ist beeindruckend und fordert die spontane Reaktion des Betrachters. „Hui, wie ist das denn passiert?“ frage ich mich leise. Leise, um die Holländer nicht zu erschrecken. Sie scheinen verwirrt, denn das Restaurant hat keine Gardinen.

Nur noch wenige Meter durch ein kleines Waldstück und da liegen sie vor mir, die Externsteine. Warum sie heißen, wie sie heißen, weiß übrigens kein Schwein, obwohl es viele Theorien gibt. Und die unterscheiden sich darin, dass sie sich unterscheiden. Was spannend für Experten ist, aber nicht so für mich.

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe seit meinem letzten Besuch im Februar 1990. Dawaren nämlich die grotesken Gesteinszäpfchen bei strahlend blauem Himmel von dünnem Eis überzogen. Es war saukalt, aber auf einem der Felsen saß ein nackter Zottelbock, der meditierte, um sich bei seinen Göttern aktuelle Informationen zu besorgen oder eben nur eine fiese Blasenentzündung. Ich meine – hey. „Leiwand“ hätten Holländer gehört, wären sie in Österreich gewesen.

Heute jedoch meditiert niemand. Strahlend blauer Himmel? Fehlanzeige. Nackte Gurus? Nur Holländer im Rentenalter. Trotzdem … das hier hat was. Und das hatte es wohl schon immer für die Menschen, die vor den Externsteinen standen. Schließlich machen sie seit Urzeiten einen Mordsbohei um die Paar Steine.

Natürlich können euch eine Handvoll Geologie-Nerds die Entstehungsgründe dieser Sandstein-Formation flugs erklären. Aber – gähn – viel mehr Faszination liegt wie immer im Unerklärlichen. Denn deine Phantasie schlägt Purzelbäume auf der Suche nach Antworten im Übernatürlichen. Und der göttliche Funke, der das alles auslöst, ist hier tatsächlich spürbar. Ganz egal ob du glaubst, ein Gott hat gefunkt oder gleich ein ganzes Götter-Kollektiv.

Vielleicht befinden wir uns hier mitten im Kinderzimmer von Klein-Thor, der nicht  aufräumen wollte und dann so richtig den kleinen Götter-Po von Allvater Odin versohlt bekommen hat. Aber dann trotzdem nicht aufgeräumt hat, weil Mutter Freya schützend eingegriffen hat. Was weiß ich denn, wie das so bei Götters zugeht. Und Belege gibt es für diese gewagte These sowieso nicht.

Funde, die eine Nutzung der Externsteine beweisen, gibt es wohl erst aus der Karolingerzeit. Und da diese Burschen alles platt gemacht haben, was sie als nicht besonders christlich angesehen haben, glaube ich, dass schon vorher Kelten, Germanen oder anderes Gesocks hier rumgemacht haben. Und das geht dann so weiter. Vertreter der Kirche, Fürsten und selbstverständlich Braunhemden haben hier Argumente für die jeweilige Ideologie gefunden und rausposaunt. Heute sind es empfindsame Esoteriker, die hier den Quell ihrer Kraft  vermuten oder eben, wie oben geschildert, den Quell ihrer Blasenentzündung.

Jeder hat also zu jeder Zeit die Externsteine für die eigenen Zwecke gedeutet und entsprechend kommunikativ verwurstet. Ich stehe hier also nicht einfach vor einer Sandsteinformation, sondern vor der ultimativen Outdoor-Propaganda-Installation.

Fazit: Klarer Fall für die UNESCO. Klarer Fall für ein neues Welterbe in Deutschland. Klarer Fall für das erste Welt-PR-Erbe weltweit. Aber so was von mindestens. Und das im Teutoburger Wald bei Bielefeld, bei einer Stadt, die es nicht gibt.

P.S. Die farbigen, analogen Fotos (Fuji RD) sind 1990 entstanden, die monochromen Aufnahmen sind im September 2012 digital fotografiert.

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Bei den bild.sprachen hat es click gemacht.

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  1. Georg

    Wieder mal sehr schön beschrieben – dann muss ich also da auch nicht mehr selber hin, vielen Dank! (Ich war als Kind so Ende der Sechziger mal mit Papa da und fand die Steine damals schon so erstaunlich, dass ich mich heute noch daran erinnern kann: besonders faszinierte mich die Sinnfrage zu einer Brücke zwischen zwei der Brocken, weil in meinen Augen die Aussicht von dem so erschlossenen Fleckchen aus genauso öde war, wie von vor der Brücke. Und dass es an einigen Ecken der Aufgänge so stark nach Pipi roch, wie am Affenfelsen im Frankfurter Zoo. Enttäuschend wenig Affen waren allerdings da. Und an Holländer kann ich mich nicht erinnern.)

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