Der Roller mit der Zündkerze

Es war zu meiner Zeit in einer Koblenzer Agentur namens Damm. Ich schrieb mein Glaubensbekenntnis an die Kraft von Marken. Dazu bediente ich mich einer wahren Geschichte: Einer Geschichte, die ich als Kind erlebt hatte. Wir entschieden uns für die Darreichungsform Kinderbuch. Die Illustrationen stammen von dem Darmstädter Künstler Dieter Motzel, das Layout entwarf unsere damalige Praktikantin Margit Sanz-Janssen.

Das Büchlein ist längst selbst Geschichte, aber auch Lieblingsbuch einiger Kinder aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Und da ich das große Kompliment betrachte, habe ich mich entschieden, es an dieser Stelle noch einmal zu veröffentlichen. Lest selbst:

„Auf die Plätze! Fertig! Los!“

Wir schossen auf unseren Rollern über die Startlinie aus einem dicken, weißen Kreidestrich. In Rennhaltung nach vorn gebeugt, ging es die schmale Straße entlang, vorbei an Vorgärten, Einfahrten und einigen parkenden Autos. Immer wieder und wieder holten unsere Beine neuen Schwung. Die Augen vor Anstrengung zusammengekniffen, trieben wir unermüdlich die Roller an. Vom Fahrtwind beflügelt flatterten die bunten Plastikfransen an den Lenkergriffen unserer Roller waagerecht in der Luft.

Alte Leute, am Fenster auf Kissen gelehnt, waren unsere Zuschauer. Und vor einigen Häusern waren es die ewig grinsenden Gartenzwerge und ihre Bambis aus Keramik.

Da war sie auch schon, die kleine Tankstelle mit zwei grünen Zapfsäulen unter dem großen Vordach. Jetzt hatten wir die Hälfte der Strecke geschafft. Vor der Tankstelle wendeten wir und rasten zurück. Bis wir, einer nach dem anderen, hinter dem Kreidestrich, der natürlich auch Ziellinie war, spektakulär bremsten Uns Erster, Zweiter und Dritter riefen. Nur ich blieb still. Dafür zeigten die drei anderen auf mich und riefen im Chor: „Lahme Ente!“

„Mein Roller ist nur zu langsam“, verteidigte ich mich etwas beleidigt.

„Lügner!“ antwortete der Sieger des Rennens.

„Wir können ja die Roller tauschen. Dann wirst du sehen, wer hier die lahme Ente ist.“

„Das könnte dir so passen. Jeder fährt auf seinem eigenen Roller.“ Der Sieger sah uns an. „Los, zum Spielplatz. Wer erster da ist.“

Und schon rasten alle los.

Nur ich blieb zurück und sah ihnen nach. Dann hatte ich eine Idee und fuhr langsam zur Tankstelle. Dort saß der Tankwart auf einem Stuhl vor seinem Häuschen und las in einer Zeitung. Das tat er immer, wenn er gerade nichts zu tun hatte. Und wie immer trug er die grüne, ölverschmierte Latzhose.  Als er mich bemerkte, legte er die Zeitung auf den Boden. „Na, was gibt’s?“

„Ich werde immer Letzter. Mein Roller ist zu langsam.“

Der Tankwart sah mich an. „Dann werden wir ihn wohl etwas schneller machen müssen.“

„Geht das?“ fragte ich schon ein wenig hoffnungsvoller. Der Mann in der Latzhose nickte: „Ja, das geht. Wir müssen nur eine Zündkerze anbringen. Weißt du, so eine wie Autos haben.“

„Wirklich?“ Ich war sofort Feuer und Flamme. Wieder nickte der Tankwart. „Fahr den Roller in die Werkstatt. Ich montiere dann die Zündkerze. Morgen früh kannst du eine Testfahrt machen.“

Am nächsten Morgen stand ich aufgeregt vor der Tankstelle. Ich war schon ganz früh aufgewacht, aber meine Mutter hatte mich vor dem Frühstück nicht aus dem Haus gelassen. Jetzt öffnete sich das Tor zur Werkstatt und der Tankwart schob meinen roten Roller heraus. „Guten Morgen!“ begrüßte er mich.

„Guten Morgen“, erwiderte ich, doch ich hatte nur Augen für meinen Roller. Denn hinten auf dem Gepäckträger saß jetzt eine silberne Blechdose aus der eine richtige Zündkerze herausragte.

„Mach mal eine Probefahrt!“ Der Tankwart sah mich auffordernd an. Ich stieg auf den Roller. Meine Knie waren ein bisschen weich vor Aufregung, als ich langsam losfuhr. Dann wurde ich schneller und schneller. So schnell, dass ich nicht mal mehr das Grinsen der Gartenzwerge sehen konnte. Und dann, ja dann überholte ich sogar die alte Frau Meier auf ihrem großen schwarzen Fahrrad. Das hatte ich noch nie geschafft. Zurück auf der Tankstelle kam ich mit einer Vollbremsung vor dem Tankwart zum Stehen.

„So schnell bin ich noch nie gewesen“, erklärte ich voller Überzeugung. „Die Zündkerze funktioniert super.“

„Ja“, nickte der Tankwart grinsend. „Ja, da glaube ich auch.“

„Ich muss jetzt zu den anderen“, sagte ich und wollte losfahren. Dabei hätte ich fast vergessen, mich zu bedanken. Aber nur fast.

„Zeig den anderen, wie schnell so ein Roller mit Zündkerze ist“, rief mir der Tankwart noch nach. Dann setze er sich wieder auf den Stuhl vor dem Häuschen und schlug seine Zeitung auf. Die Anderen warteten bereits. Als sie meinen roten Roller sahen, zeigte sie den Gepäckträger mit der Zündkerze und fragte: „Was ist das denn?“

„Eine Zündkerze“, antwortete ich.

„Und was soll das?“ wollten sie wissen.

„Zündkerzen machen Roller schneller“, sagte ich wahrheitsgemäß.

„Du spinnst ja“. Aber so ganz sicher waren sie sich nicht.

„Wir können ja um die Wette fahren“, schlug ich vor. Jetzt waren die anderen so richtig unsicher, trauten sich aber nicht, das Rennen abzulehnen. Schließlich waren sie ja keine Feiglinge.

Der Kreidestrich war noch da. Wir gingen in die Startaufstellung. „Auf die Plätze! Fertig! Los!“

Und wieder raten wir auf unseren Rollern an den Vorgärten vorbei. Doch diesmal führte ich die Gruppe an. Tief nach vorn gebeugt sauste ich wie der Wind die schmale Straße entlang. Die sonst stummen Gartenzwerge schienen mir zuzujubeln.

Da war auch schon die Tankstelle. Als ich wendete, hatte ich sogar kurz Zeit, dem Tankwart zuzuwinken. Jetzt ging es zurück. Mein Vorsprung wuchs und ich war nicht mal aus der Puste, als ich hinter der Ziellinie ganz laut „Erster“ rief.

„Das war unfair. Dein Roller ist wegen der Zündkerze viel schneller als unsere!“ riefen die anderen als sie das Ziel erreichten.

Und der Sieger aus dem letzten Rennen schlug vor: „Wie können ja mal die Roller tauschen.“

„Nein“, antwortete ich. „Jeder fährt auf seinem eigenen Roller.“

Ende

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  1. Schön, es mal wieder zu sehen. War gar nicht so schlecht …
    LG Dieter

    • Wohl wahr. Das zeigt auch das Feedback – ist zwar hier nicht zu sehen, aber sehr positiv.

      Gruß aus der Liebigstraße
      Thomas

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